October 25, 2023

Sportmedizin: Künstliche Intelligenz (KI) in der Bildgebung des Bewegungsapparates

Immer schneller und tiefer dringt die Künstliche Intelligenz (KI) in alle Bereiche unseres Lebens vor. Dies gilt natürlich auch besonders für die Medizin.

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Sportmedizin: Künstliche Intelligenz (KI) in der Bildgebung des Bewegungsapparates

Immer schneller und tiefer dringt die Künstliche Intelligenz (KI) in alle Bereiche unseres Lebens vor. Dies gilt natürlich auch besonders für die Medizin.

October 25, 2023

- Prof. Dr. Stefan Nehrer zeigt uns in diesem Beitrag auf, wie Sportmediziner bereits jetzt von neuen Verfahren der artificial intelligence in der digitalen Bildgebung profitieren können. Die neuen Tools helfen dabei, möglichst rasch Informationen zur Verfügung zu stellen, um eine optimale Therapieentscheidung und Beratung durchführen zu können.

Die Diagnose und Beurteilung von klinischen Pathologien ist oft an die Erhebung von radiologischen bildgebenden Verfahren gebunden, die im ersten Ansatz Ultraschall, aber auch Röntgenverfahren sind. Die Beurteilung der Röntgenbilder ist daher noch immer oft der erste Schritt in Richtung einer differenzierten Diagnostik, die dann als Goldstandard MRT Untersuchungen folgen. Diese Auf- und Bearbeitung von Röntgenbildern braucht oft Vermessungen von Winkeln und Längenverhältnissen, was erstens genaue Kenntnisse der Methode braucht, die in der Umsetzung oft zeitraubend ist und mit einer gewissen Ungenauigkeit und geringen Reproduzierbarkeit verbunden ist. Diese Vermessungen werden in den Standardbefunden der Radiologie meist nicht mitgeliefert. Daher sind Sportmediziner oft gefordert diese Vermessungen selbst zu erheben – wie besonders bei der Vermessung von Beinachsenabweichungen am Ganzbeinröntgen und in der Beurteilung von Veränderungen am Hüftgelenk wie Dysplasie oder Impingement. Neue Verfahren der AI in der digitalen Bildgebung geben hier Unterstützung und helfen möglichst rasch die Information zur Verfügung zu stellen, um eine optimale Therapieentscheidung und Beratung durchführen zu können

Die Digitalisierung hat in der muskuloskelettalen Bildgebung zu rasanten Entwicklungen in der digitalen Bildverarbeitung und –Analyse geführt. Die manuelle Befundung von Röntgenbildern zeigt durch die subjektive Bewertung und untersucherabhängige Faktoren eine hohe inter- und intraindividuelle Variabilität, was in vielen Fällen zu einer geringen Genauigkeit und Vergleichbarkeit führt. Wie in vielen Bereichen, bietet die künstliche Intelligenz (KI, englisch artificial intelligence – AI) auch im Bereich der digitalen Röntgenverfahren ein großes Potential zur automatischen Bewertung und Verbesserung der Reproduzierbarkeit. Die KI sind Computerprogramme (Algorithmen), die aus dem digitalen Datenmaterial Charakteristika und Muster von krankheitstypischen Veränderungen extrahieren und erkennen können und sich in der Folge selbst lernen Diagnosen auf Basis objektiver Datenanalyse zu stellen. Beim „Deep-learning“ werden darüber hinaus neuronale Netzwerke verwendet, die sich selbstlernend Charakteristika von Datenmaterial erarbeiten und diese in Vorwärts und Rückwärtsschleifen analysieren und verstärken. Die Ergebnisse sollen dadurch objektiver, genauer und beinahe 100 % reproduzierbar werden. Zusätzlich sind auf den digitalen Daten automatisierte Strukturanalysen möglich, die vom manuellen Untersucher mit freiem Auge nicht möglich sind. Damit neuronale Netzwerke pathologische Veränderungen auf einem Röntgenbild erkennen können, müssen in einer Lernphase möglichst alle Ausprägungen in hoher Zahl präsentiert werden. Deshalb müssen alle Algorithmen mit Trainingsdaten, die verschiedene Krankheitsstadien, Patienten-Morphologien und Bildqualitäten erhalten, trainiert werden.

Übersicht über Künstliche Intelligenz

Es stehen bereits mehrere KI-basierte Tools zur automatischen Analyse von Erkrankungen des muskuloskeletalen Bewegungsapparates zur Verfügung, die Radiologen und Orthopäden unterstützen können. Die automatisierte Auswertung erfolgt dabei deutlich schneller als bei der manuellen Analyse und die Resultate werden in übersichtlichen Auswertungen dargestellt, die auch zur Dokumentation und Patientenaufklärung verwendet werden können. Die Ergebnisse müssen dabei immer vom behandelnden Arzt bestätigt werden. Zur Veranschaulichung für die Bereiche der Sportmedizin und Gelenkchirurgie sin zwei Softwarelösungen zur automatischen Detektion von typischen Pathologien exemplarisch dargestellt.

Das IB Lab HIPPO-Modul ist für erwachsene Menschen zwischen 18 und 95 Jahren mit Hüftschmerzen, Verdacht auf angeborene Erkrankungen, wie Hüftdysplasie, femoral-acetabulärem Impingement oder Hüftarthrose vorgesehen und ermöglicht die automatisierte Vermessung der Becken- und Hüftmorphologie. Dabei erfolgt die Analyse der relevanten Winkel und Messdistanzen auf einem App Röntgenbild des Beckens. HIPPO wurde mit Deep-Learning-Algorithmen, die an über 4.000 einzelnen Röntgenaufnahmen des Beckens und der Hüfte trainiert wurden, entwickelt. Die KI folgt dabei dem etablierten radiologischen Arbeitsablauf, wobei anatomische Landmarken erkannt werden, Messungen anatomischer Abstände und Winkel durchgeführt werden, Krankheitsmorphologien erkannt werden und eine standardisierte Klassifizierung und Berichterstattung erfolgt. Mithilfe der radiologischen Parameter (z.B. CCD- und LCE-Winkel, Tönnis-Winkel (Acetabular Index), Sharp-Winkel und Femoral Extrusion Index) können Pathologien, wie Hüftdysplasie oder FAI, automatisch identifiziert werden und Patienten rasch der entsprechenden Therapie zugeführt werden.

HIPPO-Auswertung mit automatischer Vermessung der relevanten radiologischen Parameter (aus Stotter et al. 2023)

Zur KI-Analyse von Ganzbeinröntgen steht das Modul IB Lab LAMA zur Verfügung, das vollautomatisch eine Vermessung der Beinachse durchführt und so Valgus- und Varusabweichungen identifizieren kann. Weiter erfolgt eine Vermessung der Knochen- und Beinlänge, sowie eine detaillierte Bestimmung der relevanten Gelenkwinkel zur Deformitätenlokalisierung. Durch die Bestimmung des mechanischen lateralen distalen Femurwinkels (mLDFW) und des mechanischen medialen proximalen Tibiawinkels (mMPTW) lässt sich beispielsweise bestimmen, ob eine Varusdeformität femoral oder tibial bedingt ist. Dies ermöglicht einerseits eine rasche Identifizierung von relevanten Beinachsenabweichungen und andererseits eine genaue Vermessung der Abweichung. Diese Informationen sind essentiell für die Behandlung mit Patienten mit Kniebinnenverletzungen und Kniearthrose, insbesondere wenn eine relevante Beinachsenabweichung besteht, die durch eine Korrekturosteotomie adressiert werden kann.

Die digitalen Verfahren lassen sich problemlos in die lokale Software der Ordination oder in ein PACS System integrieren und unterstützen so den Ablauf aber auch die Dokumentation der Diagnose und Therapieentscheidungen, was zuletzt zu mehr Zeit in der direkten Patientenbetreuung bringt.

Disclosure:

Imaging Biopsy Lab ist Kooperationspartnerin in mehreren Forschungsprojekten und Produktentwicklungsprogrammen des Zentrums für Regenerative Medizin der Universität für Weiterbildung Krems.

References

Univ.- Prof. Dr. Stefan Nehrer

ist Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie. Er leitet das Zentrum für Regenerative Medizin und das Department für Gesundheitswissenschaften, Medizin, Forschung an der Donau Universität Krems, samt Professur für Tissue Engineering.

Daneben ist Nehrer am Uni-Klinikum Krems an der orthopädischen Abteilung, mit Schwerpunkt Sportorthopädie und Knorpelchirurgie tätig. Seit 1992 in der GOTS, war er u.a. bereits deren Präsident und Vizepräsident Österreichs.

Co-Autor:

Dr. Christoph Stotter, PhD ist Facharzt für Orthopädie und Traumatologie und Zertifizierter Kniechirurg. Er leitet das Offizielle Kniezentrum am Landesklinikum Baden-Mödling mit den Schwerpunkten Sportorthopädie und Endoprothetik. Neben seiner klinischen Tätigkeit forscht Christoph Stotter in Kooperation mit der Universität für Weiterbildung Krems im Bereich der Künstlichen Intelligenz und möglicher Anwendungsgebiete in der Orthopädie.